Autor: Rechtsanwalt Markus Reichel
Widerrufsjoker – dieser Begriff wird häufig in den Medien genannt, wenn über Entscheidungen des Bundesgerichtshofes (BGH) oder des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) berichtet wird, die Darlehen zum Gegenstand haben, zum Beispiel Kreditverträge für Autos. Doch was genau ist der „Widerrufsjoker“ und wie kann ein Verbraucher hiervon profitieren? Der folgende Artikel soll hierzu die gesetzlichen Voraussetzungen und die aktuelle Rechtsprechung beleuchten, insbesondere die Urteile des EuGH vom 9. September 2021 (Rechtssachen C-33/20, C-155/20, C-187/20).
◼ Der Widerruf im Kaufrecht: Der Widerruf im Rechtssinn ist die Entscheidung eines Verbrauchers, sich von einem kürzlich geschlossenen Vertrag, ohne Angaben von Gründen, wieder zu lösen. Das bekannteste Widerrufsrecht findet sich bei Kaufverträgen, hier regeln die §§ 312g, 355 BGB, dass einem Verbraucher ein zweiwöchiges Widerrufsrecht bei Kaufverträgen zusteht, die außerhalb von Geschäftsräumen oder im Fernabsatz geschlossen worden sind. Das sind also vor allem im Internet geschlossene Verträge, beispielsweise bei einem Onlinehändler oder einem InternetAuktionshaus. Wichtig dabei ist, dass auf der Käuferseite ein Verbraucher steht, also eine Person die für ihren privaten Bedarf einkauft, und auf der anderen Seite ein Unternehmer, also eine Person oder ein Unternehmen, das gewerblich handelt. Stehen auf beiden Seiten Verbraucher, kann das Widerrufsrecht ausgeschlossen werden, bei Unternehmern auf beiden Seiten besteht es ebenfalls nicht.
◼ Das Widerrufsrecht bei Verbraucherdarlehensverträgen: Schließt ein Verbraucher einen Darlehensvertrag, zum Beispiel einen Kredit für die Finanzierung eines Automobils, besteht nach dem EU-Recht (EU-Richtlinie 2008/48 – „Verbraucherkreditrichtlinie“), das mit § 495 BGB in deutsches Recht umgesetzt wurde, ebenfalls ein zweiwöchiges Widerrufsrecht und zwar unabhängig davon, ob der Vertragsschluss online oder vor Ort, in einer Bankfiliale oder einem Autohaus geschlossen worden ist.
◼ Informationspflichten und (kein) Beginn der Widerrufsfrist: In der Regel beginnt die zweiwöchige Widerrufsfrist mit Unterzeichnung des Darlehensvertrags, jedoch nur, wenn der Verbraucher vorab über die sogenannten Pflichtangaben informiert worden ist. Hier regelt die EU Richtlinie 2008/48, dass beispielsweise die Laufzeit, die Kosten und anfallende Zinsen und auch das Vorgehen bei einer (vorzeitigen) Kündigung in der Vertragsurkunde erläutert werden müssen. Theoretisch kann daher, wenn die finanzierende Bank diese Pflichtangaben nicht erteilt hat, der Verbraucher auch Jahre nach Abschluss des Vertrages, diesen widerrufen. Eine „Sperre“ gilt jedoch für Immobilienkredite, diese können nur bis zum Ablauf von zwölf Monaten und zwei Wochen widerrufen werden, auch wenn die zugrundeliegenden Informationspflichten fehlerhaft sind. Folge des Widerrufs ist die Rückabwicklung des geschlossenen Vertrags. Der Verbraucher bekommt die gezahlten Darlehensraten zurück, muss aber im Gegenzug auch das an ihn ausgezahlte Darlehen an die Bank erstatten. Bei sogenannten „verbundenen Kreditverträgen“, also Darlehensverträgen, die mit einem bestimmten Kaufvertrag gekoppelt waren, zum Beispiel zur Finanzierung eines Autos, läuft die Rückabwicklung dergestalt, dass der Käufer das Fahrzeug, das er beispielsweise mit der Hausbank des Autoherstellers finanziert hat, an seinen Händler zurückgibt und die Darlehensraten erstattet werden.
◼ Entscheidung des EuGH: Der EuGH hat daraufhin am 9. September 2021 entschieden, dass für den Fall des Autokredits, der im konkreten Fall im Autohaus mit der Kreditbank des jeweiligen Fahrzeugherstellers geschlossen wurde, in der Vertragsurkunde klar darauf hingewiesen werden muss, dass es sich um einen „verbundenen Kreditvertrag“ handelt – ein Kredit, der mit dem Kauf beziehungsweise der Finanzierung eines Autos unmittelbar zusammenhängt. Auch muss die finanzierende Bank auf Verzugszinsen und deren Höhe konkret hinweisen, damit der Verbraucher diese berechnen kann – unter anderem durch die Angabe eines konkreten Zinssatzes in Prozent. Entsprechendes gilt für die Vorfälligkeitsentschädigung, auch diese muss anhand der Angaben im Vertrag für den Verbraucher konkret zu berechnen sein. Weiter stellt der EuGH fest, dass für jene Fälle, in der durch mangelhafte Informationen das Widerrufsrecht noch nicht zu laufen begann, kein Rechtsmissbrauch seitens des Verbrauchers vorliegt, der sich auch lange nach der zweiwöchigen Widerrufsfrist – auch Jahre später, auf das Widerrufsrecht beruft.
◼ Folgen und Durchführung des Widerrufs: Die beleuchteten Urteile des EuGH haben zur Folge, dass zahlreiche Kreditverträge den strengen Maßstäben, die der EuGH aufgestellt hat, nicht genügen dürften und dass diese Verträge auch nach Ablauf der Zweiwochenfrist noch widerrufen werden können. Die deutschen Gerichte haben hierbei die EuGH-Rechtsprechung bei ihrer Rechtsfindung zu berücksichtigen. Ob ein „Widerrufsjoker“ tatsächlich „zündet“ ist jedoch am jeweiligen Einzelfall zu prüfen, da sich die jeweiligen Kreditverträge in Aufmachung und Formulierung teils erheblich unterscheiden. Auch stellt sich die Frage, ob bei einem erfolgreichen Widerruf, bei dem der Verbraucher auch das erworbene Fahrzeug wieder an den Händler zurückgeben muss, er einen Nutzungsersatz für die gefahrenen Kilometer zu zahlen hat. Im Hinblick auf gegenwärtig niedrigen Zinsen, kann sich ein Widerruf lohnen, um aus einem teuren Kreditvertrag auszusteigen. Aufgrund der zahlreichen rechtlichen Fragen, empfiehlt es sich eine/n Rechtsanwältin / Rechtsanwalt aufzusuchen und sich beraten zu lassen, ob ein Widerruf Erfolgsaussichten hat, welche Folgen damit verknüpft sind und ob eine Klage Aussicht auf Erfolg hat.