Für die Gestaltung gibt es keine Mustervorlagen

Mit dem Begriff „Behindertentestament“ bezeichnet man ein Testament, mit dem Eltern, die ein körperlich oder geistig behindertes Kind haben, ihre Vermögensnachfolge regeln. Lisa-Katharina Köster, Rechtsanwältin in der Kanzlei77 Dr. Braun GmbH in Offenburg, erörtert die wichtigsten Punkte. Warum ein Behindertentestament schreiben? Mit einem Behindertentestament kann erreicht werden, dass der behinderte Erbe uneingeschränkt Sozialleistungen beziehen und die Erbschaft zur Verbesserung seines Lebensstandards verwenden kann. Gleichzeitig sollen die gesunden Familienmitglieder begünstigt werden. Erbschaft und Sozialleistungen: Viele Menschen mit Behinderung erhalten vom Staat Sozialleistungen wie etwa Hilfe zum Lebensunterhalt, Grundsicherung, Hilfe zur Pflege und Eingliederungshilfe. Diese werden allerdings nur gezahlt, wenn der Behinderte nicht mit eigenem Vermögen seinen Lebensunterhalt bestreiten kann. Wegen des Erbanfalls würde das behinderte Kind nicht mehr als bedürftig gelten. Seine Sozialleistungen werden gekürzt oder eingestellt. Das Behindertentestament erreicht, dass trotz des Erbanfalls weiterhin Sozialleistungen an das behinderte Kind erbracht werden. Auswirkungen beim Tod des behinderten Kindes: Vererbt das behinderte Kind nach seinem eigenen Tod etwas, zum Beispiel an die gesunden Familienmitglieder, so müssen diese das ererbte Vermögen möglicherweise an den Staat zahlen. Der Sozialhilfeträger hat die Möglichkeit, gegen den Erben des behinderten Kindes einen Kostenerstattungsanspruch für die Sozialhilfeleistungen, die das behinderte Kind in den letzten zehn Jahren vor dessen Tod empfangen hat, geltend zu machen. Auf keinen Fall enterben! Keine gute Idee ist eine Enterbung des behinderten Kindes. Es könnte zwar wie jeder andere gesetzlich vorgesehene Erbe enterbt werden. Allerdings: Bei einer Enterbung steht dem behinderten Kind ein Anspruch auf Zahlung des Pflichtteils zu. Dieser beträgt die Hälfte des gesetzlichen Erbteils. Den Pflichtteilsanspruch kann der Sozialhilfeträger einziehen. Wie wird das klassische Behindertentestament – Erbschaftslösung – gestaltet?

 

Erbrechtliche Mittel sind vor allem zwei Regelungen:

☛ Vor- und Nacherbschaft;

☛ Testamentsvollstreckung.

 

◼ Vor- und Nacherbschaft: Mit der Vor- und Nacherbschaft kann die Reihenfolge der Erben bestimmt werden. Das vererbte Vermögen fällt zunächst dem Vorerben, dem behinderten Kind, zu. Bei Eintritt einer Bedingung, in der Regel Tod des behinderten Vorerben, wird das Vermögen automatisch auf den Nacherben übertragen. Als Nacherben können zum Beispiel gesunde Geschwister, deren Abkömmlinge oder die des behinderten Kindes eingesetzt werden. Nach dem gesetzlichen Regelfall ist der Vorerbe in seiner Verfügungsmacht beschränkt und kann zu Lebzeiten nur eingeschränkt über die Erbschaft verfügen.

 

Zum Beispiel kann er:

☛ Keine Geschenke aus der Erbschaft machen und

☛ Grundstücke nicht veräußern. Das Erbe wird für den Nacherben bewahrt. Der Nacherbe gilt als Erbe desjenigen, der ursprünglich an den behinderten Vorerben vererbt hat und nicht als Erbe des behinderten Kindes. Das behinderte Kind vererbt also selbst nicht das Vermögen der Eltern an die gesunden Familienmitglieder. Damit wird verhindert, dass die gesunden Familienmitglieder die Sozialleistungen der letzten zehn Jahre zu ersetzen haben. Es wird erreicht, dass die beim Tod des behinderten Kindes noch vorhandene Erbschaft in der eigenen Familie bleibt. Zudem wird durch die Einsetzung des behinderten Kindes als Vorerbe vermieden, dass in dessen Person ein Pflichtteilsanspruch entsteht, auf den der Sozialhilfeträger zugreifen kann. Um einen Zugriff komplett auszuschließen sollte die Erbquote zumindest leicht über der Pflichtteilsquote liegen.

 

◼ Testamentsvollstreckung: Die Anordnung einer Dauertestamentsvollstreckung stellt ein weiteres zentrales Element des Behindertentestaments dar. Als Testamentsvollstrecker kommen etwa der Nacherbe oder andere nahestehende Personen in Betracht. Zweck dieser Regelung ist es, dass die Erträge aus dem Vorerbteil dem behinderten Erben nicht zur freien Verfügung zufließen und somit nicht als Mittel gelten, die den Bezug von Sozialhilfe ausschließen oder mindern würden. Daher ist der Testamentsvollstrecker anzuweisen, nur Zahlungen an den behinderten Erben vorzunehmen, die nicht auf Sozialleistungen angerechnet werden.

 

Zum Beispiel:

 

☛ Geschenke zu den üblichen Feiertagen und zum Geburtstag,

☛ Aufwendungen für Kur- oder Ferienaufenthalte,

☛ Übernahme beziehungsweise Zuschuss zu Kosten von medizinischen Behandlungen, Medikamenten oder Hilfsmitteln, die von der Krankenkasse nicht oder nicht vollständig übernommen werden,

☛ Gegenstände der Unterhaltungselektronik und andere Dinge die Freude bereiten können,

☛ Zuwendung kleinerer Barbeträge oder sonstige Geldwerte.

 

Sittenwidrigkeit des Behindertentestaments? Der Bundesgerichtshof (BGH) geht davon aus, dass das Behindertentestament im Grundsatz nicht sittenwidrig und damit wirksam ist. Maßgeblich ist, dass die dem Behindertentestament zugrunde liegende Konstruktion letztlich innerhalb der Testierfreiheit des Erblassers liegt, die nur durch das Pflichtteilsrecht eine Einschränkung erfährt. Die Eltern tragen durch eine solche Konstruktion außerdem ihrer Verantwortung für das Wohl des behinderten Kindes Rechnung, indem sie einen Zugriff des Sozialhilfeträgers auf dessen Vermögen möglichst verhindert. Bedenken gegen die Wirksamkeit wurden allerdings bei sehr großen Nachlässen geäußert. Gestaltungsalternativen: Neben der klassischen Gestaltungsvariante, der Erbschaftslösung, kommt die Vermächtnislösung in Betracht. Die Vermächtnislösung wird ähnlich wie die klassische Variante gestaltet. Anders als in der Erbschaftslösung wird dem behinderten Kind im Rahmen der Vermächtnislösung nur ein sogenanntes Vermächtnis zugesprochen. Der Bedachte wird also nicht Erbe. Falls das behinderte Kind geschäftsfähig ist, kann als flankierende Maßnahme auch an einen notariellen Pflichtteilsverzicht des Kindes gegenüber dem Erblasser oder dem erstversterbenden Elternteil gedacht werden. Fazit: Wichtig zu wissen ist, dass das behinderte Kind unabhängig von der Gestaltungsvariante nicht in vollem Umfang auf die Erbschaft zugreifen kann, sondern Beschränkungen unterliegt. Je nach Umfang des zu vererbenden Vermögens kann es sich daher anbieten, auf die positiven Effekte eines Behindertentestamentes zu verzichten, den Ausfall der Sozialhilfe ganz oder teilweise in Kauf zu nehmen, und allein vom geerbten Vermögen zu leben. Das Behindertentestament gehört zu den komplexen Feldern der erbrechtlichen Beratung. Aus diesem Grund sollte ein Behindertentestament nur mit rechtlicher Beratung erstellt werden. Auf Musterformulierungen sollte keinesfalls zurückgegriffen werden, da individuelle Lösungen für ihre persönliche Situation und Wünsche erforderlich sind.

 

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