Autor: Rechtsanwalt Markus Reichel
Post von der Polizei zu bekommen, ist meistens eine unangenehme Angelegenheit. Besonders dann, wenn einem selbst die Begehung einer Straftat vorgeworfen und man zur Polizeidienststelle für eine Vernehmung geladen wird. Der folgende Beitrag soll erklären, wie sich ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren gestaltet und welche Möglichkeiten man als Betroffener eines solchen Verfahrens hat, um hierauf positiv einzuwirken.
◼ Zeuge oder Beschuldigter? In welcher „Rolle“ man sich in einem Strafverfahren befindet, verrät das Anschreiben der Polizei. Im Betreff ist ersichtlich, ob man Beschuldigter einer Straftat ist oder nur als Zeuge gehört werden soll. Auch der folgende Text im Anschreiben gibt Auskunft hierüber, etwa durch die Formulierung „gegen Sie wird ein Ermittlungsverfahren wegen … geführt“. Als Beschuldigter muss man keine Angaben zum Sachverhalt machen, man hat hier ein weitgehendes Schweigerecht, welches sowohl gegenüber der Polizei als auch gegenüber der Staatsanwaltschaft und dem Gericht gilt (§ 136 StPO). Auch muss der Beschuldigte die Aufforderung zum Erscheinen bei der Polizei, um eine Vernehmung durchzuführen, nicht Folge leisten, eine entsprechende Ladung seitens der Polizei ist keine Anordnung, die der Beschuldigte befolgen müsste. Etwas anderes gilt aber, wenn die Ladung durch das Gericht, beispielsweise durch den Ermittlungsrichter oder durch die Staatsanwaltschaft, erfolgt ist. Bei solchen Vernehmungen ist man auch dann als Beschuldigter zum Erscheinen verpflichtet (§§ 133, 163 a StPO), wenn man keine Sachverhaltsangaben machen möchte. Ob für den Beschuldigten eine Pflicht zum Erscheinen besteht, lässt sich unter anderem dadurch feststellen, ob in dem Schreiben die polizeiliche Vorführung für den Fall des Nichterscheinens angedroht wird. Wenn dies der Fall ist, handelt es sich um eine Ladung der Staatsanwaltschaft oder des Gerichts. Als Zeuge ist man (§ 163 Abs. 3 StPO) grundsätzlich immer zum Erscheinen bei der Polizei und solange kein Zeugnis- oder Auskunftsverweigerungsrecht vorliegt, auch zur wahrheitsgemäßen Zeugenaussage verpflichtet.
◼ Was muss gegenüber der Polizei angeben werden? Als Beschuldigter muss man keine Sachverhaltsangaben machen. Hierbei sind die Polizei, Gericht und Staatsanwaltschaft verpflichtet, zu Beginn der Vernehmung (§ 136 Abs. 1 StPO) mitzuteilen, welche Tat einem zur Last gelegt wird und dass es dem Beschuldigten freisteht, sich zu äußern oder die Aussage zu verweigern. Eine solche ordnungsgemäße Belehrung enthält auch den Hinweis, dass es dem Beschuldigten jederzeit freisteht, einen Verteidiger zu konsultieren. Das Schweigerecht bezieht sich zugunsten des Beschuldigten auf alle Sachverhalte, die mit der Tat im Zusammenhang stehen. Außer der Angabe der eigenen Personalien (Name, Wohnortadresse, Geburtstag, Familienstand, Staatsangehörigkeit und Beruf) muss der Beschuldigte keinerlei weiteren Angaben machen. Personalien Dritter müssen ebenfalls nicht angegeben werden. Macht der Beschuldigte keine Angaben zur Sache, dürfen hieraus auch keine negativen Schlüsse für das weitere Verfahren zulasten des Beschuldigten gezogen werden. Als Zeuge muss man vollständig und wahrheitsgemäß zu dem befragten Sachverhalt gegenüber Polizei, Staatsanwalt und Richter aussagen. Auch hier gelten jedoch Ausnahmen.
Zum einen ist das sogenannte Zeugnisverweigerungsrecht (§ 52 StPO ) zu nennen, welches zugunsten von Angehörigen des Beschuldigten gilt. Diese umfassen unter anderem die/ den Verlobte(n), den Ehegatten (oder eingetragener Lebenspartner) sowie Verwandte und verschwägerten Personen (Eltern, Kinder-, Ur- und Großeltern sowie Enkelkinder, Schwägerschaften bis zum zweiten Grad und in Seitenlinie verwandte Personen bis zum dritten Grad). Daneben haben bestimmte Berufsgruppen ein Zeugnisverweigerungsrecht, insbesondere Rechtsanwälte, Ärzte, Psychologen und auch Geistliche, wenn der Sachverhalt diesen Personen im Rahmen ihres Berufes anvertraut worden war (§ 53 StPO).
Schließlich besteht für Zeugen ein sogenanntes Auskunftsverweigerungsrecht (§ 55 StPO). Hiernach dürfen Zeugen die Beantwortung von Fragen ablehnen, welche die Gefahr begründen würde, sich dadurch selbst der Strafverfolgung wegen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit auszusetzen.
◼ Aussagen oder nicht? Aus Sicht des Verteidigers gilt der Grundsatz „Schweigen ist Gold“. Denn als Beschuldigter hat man zunächst einmal einen Informationsnachteil. Man weiß nicht, was in der Ermittlungsakte steht und welche Sachverhalte zu den Ermittlungen geführt haben. Daher empfiehlt es sich, zunächst keine Aussage zu machen und sich stattdessen an einen Rechtsanwalt zu wenden. Dieser beantragt bei der zuständigen Staatsanwaltschaft Akteneinsicht. Diese dient zur Informationsbeschaffung für das weitere Verfahren. Dadurch können der Beschuldigte und der Verteidiger prüfen, welcher Sachverhalt den Ermittlungen zugrunde liegt und in welchem Umfang Beweismittel existieren. Hiernach kann entschieden werden, ob weiterhin zum Tatvorwurf geschwiegen werden soll oder beispielsweise im Rahmen einer sogenannten Verteidigererklärung Angaben zum Sachverhalt beziehungsweise zum Tatvorwurf gemacht werden. In diesem Verfahrensstadium kann, wenn die rechtlichen Voraussetzungen gegeben sind, durch eine kompetente Strafverteidigung viel zu Gunsten des Beschuldigten erreicht werden – bis hin zur Einstellung des Verfahrens (gegebenenfalls gegen Auflagen). Bei geringfügigen Vergehen kann so eine schnelle Verfahrensbeendigung erzielt werden. Auch kann der Beschuldigte im Rahmen einer solchen Einlassung bereits im Ermittlungsverfahren eigene Beweismittel und entlastende Tatsachen vortragen. Ziel: eine Einstellung des Verfahrens wegen des fehlenden hinreichenden Tatverdachts zu erreichen. Gerade im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren ist die Vertretung durch eine(n) versierte(n) Strafverteidiger*in unbedingt zu empfehlen, um hier bereits die, für den Beschuldigten besten Voraussetzungen für den weiteren Verfahrensverlauf zu schaffen.