Stichtagsprinzip im Zugewinn: Berücksichtigung latenter Steuern und Vorfälligkeitsentschädigung

Der Stichtag, der für die Berechnung des Endvermögens beim Zugewinnausgleich zählt, ist ein festes Datum ohne viele Korrekturmöglichkeiten. In der Regel ist das Datum des Anfangsvermögens der standesamtliche Hochzeitstag, das Datum des Endvermögens der Tag der Zustellung des Scheidungsantrags beim Gegner. Dabei ist zu prüfen, ob an diesem Datum bereits „latente“ Verbindlichkeiten oder Forderungen zu berücksichtigen sind, sowie im folgenden Fall der Bundesgerichtshof.

Geheiratet hatten die Eheleute im Fall am 31.12.2000. Am 28.04.2001 bekam der Mann wegen der Steuervorteile der Zusammenveranlagung eine Steuererstattung für das Jahr 2000 und wollte dies noch zu seinem Anfangsvermögen zählen. Doch der Veranlagungszeitraum 2000 war am Tag der Hochzeit noch nicht abgelaufen – es fehlte der Rest des Tages. Beim Endvermögen war der 30.01.2015 der Stichtag. Im Mai 2015 verkaufte der Mann ein Haus, löste dadurch den Immobilienkredit vorzeitig hab und musste eine Vorfälligkeitsentschädigung zahlen. Nach den Grundsätzen der „latenten Steuern“ bei der Unternehmensbewertung wollte er dies abziehen.

Diese Grundsätze besagen, dass bei Unternehmen, Grundstücken und Lebensversicherungen ermittelt wird, was bei einem Verkauf zu erzielen wäre. Während Steuern zu den unvermeidbaren Veräußerungskosten gehören, gilt bei den Zinsen nicht das gleiche: eine Vorfälligkeitsentschädigung ist die Summe der Zinsen, die sonst im Laufe der vertragsgemäßen Darlehenstilgung angefallen wären. Für den Immobilieneigentümer ist es gleich, ob er sie ratierlich oder kapitalisiert an die Bank zahlt. Denn weil die Vorfälligkeitsentschädigung die Funktion hat, der finanzierenden Bank durch die vorfällige Tilgung entstehenden Nachteil auszugleichen, ist sie als Ersatz für die nicht erfolgende Zinszahlung anzusehen. Am Stichtag ist die Herkunft des Zugewinns grundsätzlich ohne Bedeutung. Der Zugewinnausgleich soll nach seinem Grundgedanken der Teilhabe an dem während der Ehe gemeinsam erwirtschafteten Vermögen dienen. Die vom Gesetz vorgesehene pauschalisierte Berechnungsweise unterscheidet dabei nicht, in welchem Umfang die Ehegatten zum Vermögenserwerb während der Ehe beigetragen haben.

Hinweis: In der strengen stichtagsgenauen Betrachtung sind gesetzlich Ungerechtigkeiten vorgesehen, die nicht durch eine Billigkeitsabwägung nach § 1831 Abs. 1 BGB korrigiert werden dürfen. Das Stichtagsprinzip steht einer Bewertung künftig eintretender Umstände grundsätzlich entgegen.

Quelle: BGH, Beschluss vom 08.12.2021 – XII ZB 402/20

Autorin: Lisa-Katharina Köster, Rechtsanwältin, Fachanwältin für Familienrecht, Testamentsvollstreckerin, Kanzlei77 – Kanzlei Dr. Braun GmbH, Spitalstr. 2a, 77652 Offenburg

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